Auf dem Weg in die Gerontokratie

04.03.2014 | Kommentar

Die Regierungskoalition im Deutschen Bundestag verfügt über 504 von 631 Sitzen. Genug also, um die 18. Legislaturperiode seit der Gründung der Bundesrepublik dazu zu nutzen, mutige Entscheidungen zu treffen und Deutschland zukunftssicher aufzustellen.

Leider waren die ersten Wochen der neuen großen Koalition alleine von der Einlösung versprochener Wahlgeschenke geprägt. Die Interessen der heutigen jungen Wählerinnen und Wähler sowie die Begrenzung der Belastung nachfolgender Generationen scheinen in den Köpfen der Koalitionäre keine Rolle zu spielen.
Bürgerinnen und Bürger die 45 Jahre lang gearbeitet und in die Rentenkasse eingezahlt haben, werden mit 63 Jahren abschlagsfrei in Rente gehen können. Sie müssen nicht bis 67 arbeiten, wie es seit der Gesetzesänderung der letzten großen Koalition in 2007 vorgesehen ist. Mütter (und Väter) die zur Erziehung ihrer vor 1992 geborenen Kinder zu Hause geblieben sind, erhalten eine höhere Anerkennung dieser Erziehungszeiten für ihre Rente.
Mit beiden Gesetzesänderungen lösen die Regierungsparteien unmittelbar nach der Aufnahme ihrer Arbeit ihre Wahlversprechen ein und bedanken sich bei ihren Wählerinnen und Wählern für deren
Vertrauen. Dass sich diese Wahlgeschenke ausschließlich an ältere Mitbürgerinnen und Mitbürger richten und sie auf lange Sicht gesehen eine noch nicht kalkulierbare Mehrbelastung der heutigen jungen Menschen und der nachfolgenden Generationen bedeuten, ist leider weder in den Regierungsparteien ernsthaft diskutiert worden, noch hat es zu einem breiten gesellschaftlichen Aufschrei geführt.
Um nicht falsch verstanden zu werden: Mit Sicherheit haben sowohl Menschen, die 45 Jahre lang gearbeitet und in die Rentenkasse eingezahlt haben, als auch Mütter und Väter, die mit der Erziehung ihrer Kinder eine wichtige gesellschaftliche Leistung erbracht haben, es verdient, mit dem Erreichen des Rentenalters eine ihren Leistungen angemessene und auskömmliche Rente zu erhalten, um einen finanziell abgesicherten Lebensabend verbringen zu können.
Auf der anderen Seite haben aber auch die heutigen jungen Menschen und insbesondere die nachfolgenden Generationen ein Anrecht darauf, in eine Gesellschaft hineinzuwachsen, die ihnen nicht ihre ganzen Altlasten zur Beseitigung überlässt. Dabei denke ich zum Beispiel an einen immensen Schuldenberg (2.025.448.000.000€ in 2011), eine in vielen Erdteilen irreparabel geschädigte Natur und ein überfordertes Sozialsystem. Die Liste ließe sich mit Sicherheit noch länger fortsetzen. Nachfolgende Generationen haben ein Recht darauf, ihre eigenen (politischen) Entscheidungen zu treffen. Dazu benötigen sie echte Handlungsspielräume.
Die Vorzeichen des Generationenvertrages haben sich geändert. Das Verhältnis von Einzahlenden und Rentenbeziehenden gerät in ein Ungleichgewicht, von Ausgaben der Pflege- und Krankenversicherungen ganz zu schweigen. Der Satz von Konrad Adenauer „Kinder kriegen die Leute immer!“ (1957) reicht leider nicht mehr aus, um den Generationenvertrag in seiner ursprünglichen Form aufrecht zu erhalten.
Seit Mitte der 60er-Jahre sind die durchschnittlichen Geburtenzahlen kontinuierlich gesunken. Seit Mitte der 70er-Jahre befindet sich die Geburtenrate in Deutschland auf einem anhaltend niedrigen Niveau von durchschnittlich rund 1,4 Kindern je Frau. Daran haben auch diverse Anreize durch Bundesregierungen jedweder Couleur nichts ändern können. In 2030 wird die Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter voraussichtlich rund 6,3 Millionen Menschen weniger umfassen als heute.
Aus meiner Sicht bestätigen die eingangs beschriebenen politischen Weichenstellungen der neuen großen Koalition das, was Experten schon seit längerer Zeit voraussagen. Wir steuern zu auf eine Gerontokratie (Herrschaft der Alten) in der die älteren Mitbürgerinnen und Mitbürger auf Grund ihrer schieren Menge zur wichtigsten politischen Gruppe aufsteigen. Die Politik wird sich also in ihren Entscheidungen mehr und mehr an dieser Gruppe orientieren, um sie nicht als Wähler zu verlieren.
Leider habe ich ernsthafte Zweifel daran, dass dieser Umstand einer nachhaltigen und zukunftsweisenden Politik im Sinne nachfolgender Generationen dienlich ist.
Die Geschenke aus der Rentenkasse werden in einer Situation verteilt, in der es Deutschland im europäischen Vergleich sehr gut geht. Die Steuereinnahmen waren noch nie so hoch wie heute, die Arbeitslosigkeit ist gering, die Krankenkassen bunkern Überschüsse und die Reserven der  Rentenkasse sind so hoch, dass gesetzlich vorgeschrieben der Beitragssatz sinken müsste. Doch was passiert in dieser Situation? Statt Schulden zu tilgen und Bürgerinnen und Bürger zu entlasten, werden lieber nette, aber nicht zwingend notwendige Wahlgeschenke an die treuen Wählerinnen und Wähler der älteren Semester verteilt. Angezogen werden können die Zügel ja immer noch, wenn sich die wirtschaftlichen Vorzeichen im Laufe der Legislaturperiode wieder verschlechtern, wenn die Eurokrise zurückkommt, die nächste Börsenblase platzt oder etwas gänzlich Unvorhersehbares geschieht.
Wer in guten Zeiten finanzielle Reserven als Wahlgeschenke verteilt, statt diese zur Tilgung von Schulden und zur Entlastung seiner Bürgerinnen und Bürger einzusetzen, der spielt mit der Zukunft des Landes und den Perspektiven der nachfolgenden Generationen.
 

Max Grösbrink, jugendpolitischer Bildungsreferent der Kolpingjugend Deutschland
Max Grösbrink