Ist das Leben die Schule?

16.09.2014 | Kolpingjugend Deutschland: Kommentar

In regelmäßigen Abständen veröffentlicht die Kolpingjugend Deutschland einen persönlichen Kommentar, in dem tagesaktuelle politische und gesellschaftliche Themen sowie Themen die Kinder und Jugendliche bewegen, aufgegriffen werden. Getreu dem Leitsatz der Kolpingjugend: „Wir mischen kreativ, kritisch und konstruktiv in Kirche und Gesellschaft mit und machen uns stark für eine lebenswerte Zukunft." Der aktuelle Kommentar ist von Tobias Köster, Realschullehrer und ehemaliges Mitglied im Bundesarbeitskreis.

In den letzten Jahren wurde das deutsche Schulsystem einer großen Reform unterzogen. Nach und nach wurde die Schulzeit bis zum Abitur von 13 auf 12 Jahre heruntergesetzt. Hauptargument dieser Verkürzung ist der Vergleich gegenüber anderen Ländern, in denen Schülerinnen und Schüler 12 Jahre die Schule besuchen. Diese Reform wird allgemein „G-8“ genannt, größter Kritikpunkt daran ist die Vermittlung von gleicher Bildung in kürzerer Zeit, mit der einhergehenden höheren Belastung der
Schülerinnen und Schüler.
Aufgrund dieser Kritik wird in mehreren Bundesländern diskutiert, ob diese Reform zurückgenommen bzw. Wahlmöglichkeiten für Eltern geschaffen werden. In Bayern wurde über ein Volksbegehren erfolglos versucht, diese Reform zu kippen bzw. eine Wahlmöglichkeit für Eltern zwischen G-8 und G-9 zu schaffen. Das Volksbegehren scheiterte schon an seiner Zulassung, denn dazu hätte es 950.000 Unterschriften bedurft. Das Bundesland Niedersachsen hat die Rückkehr zur 13-jährigen Schulzeit angekündigt. Doch was ist der richtige Weg für eine sehr gute Schulbildung von Kindern und Jugendlichen? Die Wochenzeitung „Die Zeit“ kommt zu dem Schluss, dass aus heutiger Perspektive beide Wege wissenschaftlich untersucht werden müssen, um zu einer verlässlichen Aussage über die Vor- und Nachteile längerer oder verkürzter Schulzeiten zu gelangen1.
Eine andere Frage stellt das Leben der Schülerinnen und Schüler dar. Die Stundentafel des Gymnasiums für das Land NRW sieht vor, dass Kinder und Jugendliche zwischen 30 und 35 Wochenstunden in der Schule verbringen2, fast eine normale Arbeitswoche von Berufstätigen. Doch nicht nur die Präsenzzeiten in der Schule sondern auch die Nachbereitung des Unterrichts
erfordert zusätzliche Arbeitszeit. Nicht wenige Kinder sitzen bis in die frühen Abendstunden an ihrem Schreibtisch und haben kaum noch Zeit für andere Arten der Freizeitgestaltung. Besonders die offene und verbandliche Jugendarbeit sowie Sportvereine leiden unter dem „Turboabitur“ bzw. der „Turboreife“. Aber ist diese Reife, die Schülerinnen und Schüler durch das Abitur erlangen, nur auf Wissensvermittlung zu reduzieren? Oder muss nicht auch Wert auf eine gewisse menschliche und
soziale Reife gelegt werden, die durch Partizipation und Engagement in Jugendverbänden und Vereinen erlangt wird? Meiner Meinung nach sollte die Schule für das Leben da sein und nicht das Leben für die Schule. Das bedeutet, dass Kindern und Jugendlichen die Möglichkeit eingeräumt wird ihr Leben frei zu gestalten! Lehrpläne müssen entrümpelt werden, damit Freiräume geschaffen werden, Zeit selbstbestimmt und frei gestalten zu können.

Tobias Köster, Realschullehrer und ehemaliges Mitglied im Bundesarbeitskreis.